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"Das crazy" -

Wenn Eltern sprachlich lost sind


Es ist wieder soweit – das Jugendwort des Jahres wurde gekürt. Und wie jedes Jahr sitze ich da, lese es, und habe das Gefühl, man hätte mich in ein Paralleluniversum katapultiert, in dem Grammatik optional, und Bedeutung reine Auslegungssache ist. Diesmal also: „das crazy“. Ich wiederhole: das crazy. Nicht nur crazy. Nicht einfach ein Adjektiv, nein, ein Substantiv. Mit Artikel. Ein Wort, das klingt, als hätte jemand mitten im Satz vergessen, was er eigentlich sagen wollte, und dann beschlossen, dass das eh schon reicht.


Lost in Translation 
Ich bin 43, Mutter einer pubertierenden 13-Jährigen und eines fast 10-Jährigen. Ich dachte, ich spreche Deutsch. Tja. Offensichtlich spreche ich Altgriechisch mit Akzent. Jugendsprache ist für mich inzwischen so etwas wie eine geheime Geheimsprache – nur ohne „el-ef“. Früher war „cool“ noch cool. Dann kam „cringe“, was ich anfangs für eine Hautkrankheit hielt. „Digga“ war kurzzeitig akzeptiert, bis ich rausfand, dass ich es nicht benutzen darf, weil ich „nicht so eine“ bin. Und jetzt? Jetzt kommt „das crazy“. Ein Wort, das laut Duden-Logik eigentlich gar nicht existieren dürfte, aber in der Welt meiner Kinder völlig selbstverständlich ist.


Worte sind jetzt nur noch Vibes
Die Jugend von heute hat die Sprache endgültig vom Ballast der Bedeutung befreit. Worte sind keine Werkzeuge mehr, um Dinge zu beschreiben – sie sind Vibes. Man kann alles und nichts damit sagen. „Das crazy“ funktioniert universell: Es kann „wow“, „oh nein“, „egal“ oder einfach „bitte sprich mich nicht weiter an, Mama“ heißen. Es ist das sprachliche Äquivalent zum Achselzucken.


Früher Gefühle, heute Geräusch
Ich erinnere mich an die Zeit, als man mit einem Satz wie „Das ist ja der Wahnsinn!“ noch Emotion zeigen konnte. Heute reicht ein „das crazy“ und man hat alles gesagt, ohne sich unnötig festzulegen. Manchmal beneide ich die Jungen um diese Fähigkeit, mit zwei Wörtern ganze Gefühlslandschaften abzudecken. Gleichzeitig möchte ich mir einen Dolmetscher anschaffen.


Slang mit Verfallsdatum
Jugendsprache ist mittlerweile weniger Kommunikation als ein schickes Sprach-Accessoire. Wer sie nicht spricht, ist raus. Wer sie zu oft spricht, ist „cringe“. Es ist ein Minenfeld zwischen Dazugehören und Zu-alt-Dafür. Ich habe einmal versucht, ein aktuelles Jugendwort in einem Satz zu verwenden. Meine Tochter sah mich an, als hätte ich gerade Latein mit Tiroler Dialekt gesprochen. Ich glaube, in dem Moment ist in ihr innerlich etwas zerbrochen.


Sprachkunst mit Ablaufdatum
Dabei ist es faszinierend: Die Jugendlichen schaffen es aus der Sprache ein sich ständig selbst erneuerndes Kunstprojekt zu machen. Kaum hat man ein Wort verstanden, ist es schon wieder uncool. Das Haltbarkeitsdatum der Wörter ist ungefähr so lange wie ein TikTok-Video. Wenn ich also denke, ich habe endlich den Anschluss gefunden, dann weiß ich: Ich bin mindestens zwei Trends zu spät.


Das crazy – gar nicht so crazy?
Und trotzdem – ich liebe es ein bisschen. Diese völlig überdrehte, grammatikfreie, ironisch-ernste Ausdrucksweise ist so herrlich absurd, dass man sie fast schon bewundern muss. Vielleicht ist „das crazy“ ja auch einfach eine kleine Erinnerung daran, dass Sprache lebt, auch wenn sie uns dabei ein bisschen auslacht. Also werde weiterhin ratlos nicken, wenn mir jemand „das crazy“ entgegenwirft; werde mich fragen, ob das jetzt Zustimmung, Mitleid oder einfach nur höfliches Desinteresse war. Und ich werde mich damit abfinden, dass meine Kinder in einem sprachlichen Universum leben, in dem Regeln keine Rolle spielen. Vielleicht ist das ja tatsächlich... das crazy.


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